
Annalina Behrens
– Mitinitiatorin des haehnlein-Konzepts –
Wie stellt sich die aktuelle politische Situation dar und wie beurteilen Sie diese?
Es ist schön zu sehen, dass Bewegung und noch mehr Aufmerksamkeit in das Thema kommt. Das begrüßen wir. Wir würden uns aber eine ganzheitliche Lösungssuche wünschen, in dem das bisherige Best Practice Beispiel der Bruderhahnenaufzucht auch betrachtet wird.
Wie bewerten Sie die verschiedenen Verfahren zur Früherkennung des Kükengeschlechts?
Es ist gut das geforscht wird! Alle drei, mir bekannte, Verfahren haben bisher jedoch noch mindestens einen Haken: das Verfahren am 3. Tag ist von der Marktreif noch sehr weit entfernt. Das Verfahren am 9. und 14 Tag ist zu spät, da die Embryonen zur diesem Zeitpunkt bereit ein Schmerzempfinden haben. Das Verfahren am 14. Tag funktioniert zudem über die Farbe der Federn. Dies geht aber nur bei Braunlegern, da hier die Hennen braune Federn und Hähne weiße Federn haben. Diesen Unterschied gibt es bei Weißlegern leider nicht, da hier Hahn und Henne weiß sind und somit keine Farbunterschiede sichtbar sind. Da gut die Hälfte der konventionellen Legehennen in Deutschland Weißleger sind, fällt dieses Verfahren für sie raus.
Stellen diese Verfahren – sobald sie marktreif sind – eine Alternative zur Bruderhahn-Aufzucht für Sie da?
Für die konventionellen Legehennenhalter wird die Früherkennung im Ei sicherlich eine gute Lösung darstellen. Über die Poltik soll die Vermeidung vom Kükentöten verpflichtend werden, so dass kurzfristig Zugzwang besteht. Je nach Verfahren fallen aber auch bei der Früherkennung noch ein paar Prozent Fehlsortierungen an, so dass auch hier noch restliche Bruderhähne aufzuziehen sein werden. Im Umkehrschluss werden aber auch immer Hennenembryos fälschlicherweise als Hähne identifiziert und getötet. Die Bio-Branche hat sich gegen das Kükentöten und für die Aufzucht der Bruderhähne entschieden. Viele Verbraucher haben inzwischen das besonders aromatische Fleisch zu schätzen gelernt und die Landwirte haben sich auf die Haltung eingestellt, so dass es derzeit keinen Grund zur Einstellung gibt.
Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile der Bruderhahn-Aufzucht oder der Haltung von Zweitnutzungshühnern im Vergleich zu den Verfahren zur Früherkennung des Kükengeschlechts?
Die Aufzucht der Hähne, ob nun aus einer Lege- oder einer Zweinutzungsrasse, ist der natürlichste Weg. So wurden die Hähne über Jahrhunderte sinnvoll genutzt. Man zog sie als Stubenküken oder Junghahn auf, um sie anschließend als für Suppe oder Braten verwerten zu können.
Wie viel Prozent der männlichen Küken werden aktuell im Rahmen Ihres Konzepts zu Bruderhähnen aufgezogen?
Im Erzeugerzusammenschluss Fürstenhof wurde seit Oktober 2018 kein lebensfähiger Hahn mehr vergast, es wurden seitdem also alle männlichen Küken aufgezogen. Diese Praxis werden wir auch weiterhin ausführen. Inzwischen ziehen wir sogar Bruderhähne für andere Betriebe auf.
An welchen Standards orientieren Sie sich bei der Aufzucht der männlichen Küken?
Die Aufzucht der Bruderhähne orientiert sich zum Einen an den gültigen Richtlinien und Verordnungen, wie der Bio-Verordnung, der Tierschutznutztierhaltungsverordnung, den Richtlinien der Bio-Initiative e.V. etc. und zum anderen an ihren Bedürfnissen. So sind die Bruderhähne wesentlich agiler als Masttiere. Sie sind so sportlich wie Legehennen und wollen Springen und Flattern, gleichzeitig sind sie aber anfangs deutlich kleiner als Legehennen, also wie Junghennen und brauchen eine „kindgerechte“ Stalleinrichtung. Daraus ergeben sich Mindestvoraussetzungen, die in der Praxis noch etwas aufgestockt werden.
Wie stehen Sie zu dem „Vorwurf“, die Aufzucht der Hähne sei Ressourcenverschwendung und nicht nachhaltig?
Die Frage ist ja zunächst einmal, was man subjektiv als größere Ressourcenverschwendung bewertet: ein gesundes Lebewesen am Tag des Schlupfes zu vergasen und zu entsorgen oder ein Tier mit potentiellen Nahrungsmitteln zu füttern, auch wenn die Futterverwertung nicht so optimal ist wie beim Turbo Masthuhn (Futterwertung sagt aus, wie viel kg Futter man für 1 kg Lebendgewicht benötigt werden). Dabei ist es so, dass unsere Bio-Bruderhähne z.B. Ackerbohne, Acker Erbse und Lupine bekommen, welche zu den Leguminosen zählen. Diese Leguminosen sind Pflanzen die Stickstoff aus der Luft filtern und diesen über die Knöllchenwurzeln im Boden speichern. Diese Bodenanreicherung mit Stickstoff ist im Bio-Ackerbau sehr wichtig, weshalb wechselnd auf jedem Acker alle 2 bis 3 Jahre Leguminosen angebaut werden, schließlich darf der Bio-Landwirt keinen Kunstdünger verwenden. Die Früchte dieser Pflanzen sind jedoch wegen ihrer Bitterstoffe nicht für den menschlichen Verzehr geeignet und gehen ins Tierfutter. Ein weiterer Aspekt ist, dass 30% des Bio-Tierfutters aus U-Getreide bestehen darf. Das ‚U‘ steht hierbei für Umstellung und bedeutet, dass nach der Umstellung eines Hofes oder auch eines einzelnen Ackers die ersten 2 Jahre zwar ökologisch gewirtschaftet wird, die Ernte aber nur einen U-Status hat. Erst im 3. Jahr ist es dann Bio und darf für Lebensmittel zum menschlichen Verzehr verwendet worden. Die Ernte aus den ersten beiden Jahren darf hingegen nur im Tierfutter verwendet werden. Auch Kleinkorn, Getreide mit zu geringen Eiweißwerten etc. kann über das Tierfutter sinnvoll genutzt werden. Insgesamt ist das Thema der Ressourcenschonung komplex und wichtig, meiner Meinung nach sollte ein Leben aber viel zählen.